Nun wird es wohl Zeit, dass ich mal wieder etwas ueber meine Praxiserfahrungen bzw. meine Erfahrungen mit Sozialer Arbeit und Behindertenhilfe hier berichte. Schliesslich stellt die Arbeit in der Praxisstelle den Schwerpunkt des Programms dar oder sollte es zumindest. Obwohl ich nun schon mehrere Wochen hier und auch in meiner Praxisstelle bin, habe ich immer noch den Eindruck, dass das Bild, das ich mir machen kann sehr unklar ist. Zum einen ist es natuerlich auch ein weites Feld, was sicher nicht mal eben so zu erfassen ist, zum anderen muss ich in meiner Praxisstelle im Moment taeglich ein wenig Ueberzeugungsarbeit leisten, um ueberhaupt beschaeftigt bzw. so beschaeftigt zu sein, dass ich mich entweder nuetzlich fuehle oder zumindest etwas lerne. Ideal waere natuerlich, wenn sich beides kombinieren liesse, aber das ist im Moment doch eher selten gegeben. Nach der ersten Woche im Dayroom habe ich zwei Wochen lang Akten gewaelzt und Informationen in den Rechner eingegeben. Als sich mein Aktenberg dem Ende naeherte, bin ich dann zu Sam, meinem Anleiter, um mit ihm zu eroertern, was meine Aufgaben in den naechsten Wochen sind bzw. was mich interessiert, wo ich gerne mal dabei sein wuerde. Seitdem stehe ich eigentlich taeglich einmal bei ihm im Buero und versuche, das Beste fuer mich herauszuholen, und allmaehlich scheint er eine Idee davon zu bekommen, was mir wichtig oder fuer mich interessant ist. Aus irgendeinem Grund scheint er der Ueberzeugung, dass die Arbeit im Dayroom fuer mich ganz klasse ist, waehrend ich viel lieber oder zumindest auch wissen moechte, wie die "Trainingsplaene" fuer die Klienteinnen und Klienten erstellt werden, wie die KlientInnen zu PACE kommen und einiges mehr. Im Moment sieht es so aus, als ob ich im Laufe der Woche saemtliche fuer die Arbeit als Skillsdeveloperin erforderlichen Trainings absolviert haben koennte und zumindest meine Arbeit im Dayroom beginnen kann. Was fuer mich auffaellig ist an der Arbeit hier, ist das vieles sehr sehr durchstrukturiert ist. Im Moment werden grade neue Skillsdeveloperinnen eingestellt und die haben eine zwei woechige Einarbeitung bevor sie an den Start duerfen, dazu gehoert eine Kurs in Erster Hilfe, Lebensrettende Massnahmen und blutuebertragene Krankheiten, eine Einfuehrung in das "Title 19 Waiver Program" (gesetzliche Rahmenbedingungen), das Grundlage fuer die Arbeit mit den Klienten und Klientinnen im Dayroom ist, eine ganztaegige Veranstaltung in Krisenmanagement (Theorie, verbale Deeskalation und Sicherheitstraining praktisch) mit Abschlusspruefung und Zertifikat, drei Tage "Training on the clients", Informationen ueber alle Klientinnen und Klienten, Einfuehrung in das umfangreiche Dokumentationssystem. Ebenso durchstrukturiert scheint die Hilfeplanung fuer die Klientinnen und Klienten zu sein, auch wenn ich das bisher eher der Aktenlage nach beurteilen kann. In der Regel findet alle sechs Monate ein interdisziplinaeres Team statt, an dem neben dem/der KlientIn alle Professionellen und Nichtprofessionellen Unterstuetzer und UnterstuezerInnen beteiligt sind. Muss irgendjemand kurzfristig absagen, wird der Termin neu gesetzt. In Vorbereitung dazu gibt es umfangreiche Formulare, die ausgefuellt sein muessen: Diagnosen, Notwendigkeit verschiedener Therapien (Ergo, Physio, Logo), pflegerische und medizinische Massnahmen, persoenliche Ziele der Klientinnen und Klientinne sowie UnterstuetzerInnen, das breite Feld des Skillsdeveloping in allen Bereichen (Arbeit, Zuhause, soziales Umfeld), ein "Positiv Behavior Support Plan" zum positiven Umgang mit schwierigem Verhalten. Fuer alle Klientinnen liegt eine ausfuehrliche psychologische Diagnostik nach standardisiertem Testverfahren vor. Diese scheint alle drei bis fuenf Jahre stattzufinden. Ich hoffe, dass mir meine beiden Buerokolleginnen, die Therapeutic Consultants, bald einen etwas tieferen Einblick in die Prozesse der Hilfeplanung gewaehren, im Moment tun sie sich damit noch etwas schwer. Zur Zeit bin ich einerseits beeindruckt von so viel Struktur und andererseits erschlagen davon und frage mich, ob vor lauter Dokumentation, Diagnostik etc. nicht die eigentliche Arbeit mit den KlientInnen zu kurz kommt.
Was mich zur Zeit an der Arbeit hier am meisten schockiert ist, dass ich den Eindruck habe, Menschen mit intellektueller Beeintraechtigung haben hier keinerlei Recht auf Selbstbestimmung. Saemtliche Klientinnen und Klienten, die hier im Dayroom im sogenannten "Title 19 Waiver Program" sind werden rund-um die Uhr beaufsichtigt. Sie duerfen nicht alleine die Wohnung verlassen. Sie koennen nicht alleine einkaufen oder Freunde besuchen gehen. In gewisse Weise beginne ich inzwischen das zu verstehen, denn auch wir wohnen zum Teil mit unserern Gastfamilien so, dass es unmoeglich bzw. schlicht und einfach gefaehrlich ist zu Fuss irgendwohin zu gehen, insbesondere Einkaufsgelegenheiten sind zu Fuss oft unerreichbar. Nichts destotrotz ist es fuer mich unbegreiflich, in welchem Masse davon ausgegangen wird, dass die Klientinnen und Klienten beschuetzt werden muessen. Irgendwie hoffe ich immer noch, dass es vielleicht gar nicht so schlimm ist, wie es mir erscheint, dass ich irgendetwas missverstehe...
Positiv ist aus meiner Sicht, dass Wohneinheiten hier offensichtlich nie mehr als maximal vier Plaetze umfassen, haeufig scheinen sie sogar kleiner zu sein.
Gestern habe ich an einer organiserten Tour durch verschiedene soziale Einrichtungen teilgenommen. Wir haben ein Nachbarschaftshaus angesehen, das verschiedene Programme fuer Kinder und Jugendliche anbietet, wir waren in einer Obdachlosen-Schlafstelle, die ein spezielles Programm fuer Wohnungslose anbietet, die Arbeit haben. Dort sind dann oftmals auch Familien. Es scheint hier nicht selten zu sein, dass Familien in denen beide Elternteile arbeiten, trotzdem keine Wohnung finden, die sie bezahlen koennen. Das Ausmass an Armut trotz Arbeit und oft mehreren Jobs ist hier wirklich gross. Das Engangement der Professionellen und der freiwilligen Helfer ist es auch. Erschreckend ist auch immer wieder, was ueber die Gesundheitsversorgung berichtet wird. Unsere Tour fuehrte uns auch zu einer Einrichtung die medizinische Versorgung fuer diejenigen anbietet, die keine Versicherung haben.
Okay, soweit meine Eindruecke, heute mal ohne Bilder. Ich hoffe es war nicht zu droege.
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